Sie gurren auf dem Bahnhofsvorplatz, picken in der Fußgängerzone nach Brotkrumen oder sitzen scheinbar teilnahmslos auf Laternen: Stadttauben. Für viele sind sie bloß lästig – schmutzig, nervig, überflüssig.
Und doch stehen sie sinnbildlich für ein stilles Tierleid mitten unter uns.
Wer sich die Zeit nimmt, genauer hinzuschauen, erkennt: Diese Vögel sind keine Plage. Sie sind Überlebenskünstler, die wir Menschen geschaffen haben – und denen wir nun jede Verantwortung entziehen.
Die Wahrheit über Stadttauben beginnt mit ihrer Herkunft
Was viele nicht wissen: Stadttauben sind keine Wildtiere im klassischen Sinne.
Sie stammen von Felsentauben ab, die einst in Höhlen und Klippen lebten – und wurden vom Menschen vor Jahrtausenden domestiziert.
Jahrhundertelang züchtete man sie als:
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Brieftauben, die für Kriege, Sport oder Nachrichten eingesetzt wurden
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Zuchttauben für Ausstellungen oder Fleisch
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Haustiere, oft mit wenig Rücksicht auf Gesundheit oder Bedürfnisse
Doch was geschah mit den Tieren, die nicht mehr gebraucht wurden?
Sie wurden freigelassen, gingen verloren oder vermehrten sich unkontrolliert.
Heute sind Stadttauben verwilderte Nachfahren dieser Hausformen. Sie haben nie gelernt, in freier Wildbahn zu überleben. Sie sind auf uns angewiesen – auf Futter, Wasser, Schutz. Doch genau das wird ihnen verwehrt.
Stadttauben sind nicht gefährlich – nur missverstanden
Der Begriff „Ratten der Lüfte“ fällt oft, wenn über Tauben gesprochen wird. Ein Bild, das sich hartnäckig hält – aber wenig mit der Realität zu tun hat.
Hier ein paar Fakten:
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Krankheiten?
Seriöse Studien und auch das Robert Koch-Institut bestätigen: Für gesunde Menschen stellen Stadttauben kein nennenswertes Gesundheitsrisiko dar. Die meisten ihrer Krankheitserreger sind artspezifisch oder selten übertragbar. Die Panikmache ist unbegründet. -
Schmutz?
Ihr oft ungepflegtes Aussehen rührt nicht von mangelnder Hygiene, sondern von fehlenden Wasserstellen, Verletzungen und einem Leben im Müll unserer Städte. Sie möchten sich reinigen – aber finden keine Möglichkeit dazu. -
„Die vermehren sich ja unkontrolliert!“
Richtig – aber das ist keine böse Absicht der Tiere, sondern ein Resultat unserer Verdrängungspolitik. Wer sie vertreibt statt versorgt, schafft Stressvermehrung und Leidensvermehrung.
Verletzlichkeit, die übersehen wird
Tauben mit verstümmelten Füßen, aufgeplustertem Gefieder, entzündeten Augen – all das ist Alltag.
Nicht, weil sie schmutzig sind. Sondern weil sie Fäden, Haare oder Müll um die Zehen gewickelt haben, die zu Amputationen führen.
Weil sie keine Nahrung finden, während Essensreste überall für andere Tiere erreichbar sind.
Weil sie niemanden haben, der sich kümmert.
Und doch sieht man sie fliegen. Tag für Tag. Stolz, still, scheinbar unberührt.
Wer überlebt, ohne willkommen zu sein, entwickelt Stärke – aber auch Narben.
Was Stadttauben eigentlich bräuchten
Es gibt eine Lösung. Tierschutzgerecht, erprobt, effektiv:
Betreute Taubenschläge mit Eieraustausch
Hierbei erhalten Tauben:
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Schutz vor Wetter und Fressfeinden
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Zugang zu sauberem Wasser und artgerechtem Futter
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Brutplätze, bei denen echte Eier gegen Attrappen getauscht werden
Das reduziert nicht nur die Population – es verbessert die Lebensqualität der Tiere und entlastet Städte langfristig. In Städten wie Augsburg, Basel oder Wien funktioniert dieses Modell seit Jahren – wenn man es zulässt.
Ein Blick in ihre Augen verändert alles
Ich habe für diesen Artikel eine Taube gezeichnet. Kein Symbol für Frieden, kein stilisierter Flug. Sondern eine echte Stadttaube.
Mit sanftem Blick, leicht gesträubtem Gefieder.
Nicht perfekt. Aber echt.
Denn genau das sind sie: Echte Lebewesen, die fühlen, frieren, leiden – und trotzdem immer wieder gurrend durchs Leben tappen.
Wer sich traut, einmal länger hinzuschauen, sieht nicht mehr nur „die Taube“, sondern ein Wesen mit Geschichte. Und mit Würde.
Was du tun kannst
Sprich über sie.
Kläre im Gespräch auf. Frage nach, warum man Tauben eigentlich nicht mag.
Unterstütze lokale Taubenschutz-Initiativen.
Sie leisten oft ehrenamtlich Großes – gegen Widerstände.
Füttere nicht illegal.
Aber informiere dich über Futterplätze und organisierte Hilfe.
Fordere von deiner Stadt betreute Schläge.
Nur so lassen sich Populationen tierschutzgerecht regulieren.
Schau nicht weg.
Eine verstümmelte Taube ist kein „hässlicher Anblick“ – sie ist ein stiller Zeuge unseres Versagens.
Fazit: Wer genau hinschaut, sieht keine Plage – sondern Verantwortung
Tauben sind nicht lästig. Sie sind das Produkt einer Beziehung, die wir Menschen begonnen, aber nie zu Ende gedacht haben.
Sie haben sich unsere Städte nicht ausgesucht – wir haben ihnen den Platz dort aufgezwungen. Und dann verweigern wir ihnen alles, was sie zum Leben bräuchten.
Es ist Zeit für ein Umdenken.
Nicht aus Mitleid.
Sondern aus Respekt.
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